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II
Die Verbreitung der spanischen Schulphilosophie auf den protestantischen Hochschulen in Holland und Deutschland

Karl Eschweiler: “Die Philosophie der spanischen Spätscholastik auf den deutschen Universitäten des siebzehnten Jahrhunderts” (1928)




§ 5. Die Heimat des gewöhnlich Spätscholastik genannten Aufschwungs der katholischen Theologie und Philosophie ist Spanien, vor allem das Spanien Karls V. und Philipps II. Das Beiwort «Spät-» in der üblichen Benennung passt nicht gut zu der erstaunlichen Kraft und Lebendigkeit dieser Scholastik, die der grobartigen Machtentfaltung des politischen Spaniens entspricht; ja ihr Einfluss auf das europäische Geistesleben übertrifft diese noch an Reichweite und Dauer. Bald nach dem Beginn teilt sich der Aufschwung der spanischen Spätscholastik in zwei Lehrrichtungen, die in der Hauptsache von dem Orden des hl. Dominikus und von der jungen Stiftung des hl. Ignatius getragen werden. Die Teilung gründet nicht allein in einem –so leicht ins Kleinlich-Menschliche fallenden– Ordenswettstreit; sie ruht vielmehr auf einem Unterschied in den erkenntnistheoretischen und metaphysischen Prinzipien, ein Unterschied, der gerade wegen seiner geistigen Prinzipalität leicht unterschätzt wird, weil die Gemeinsamkeit im schulmäßigen Darstellungsapparat, im «Scholastischen», naturgemäß das Äußere und Nächstliegende ist. Aus dem tiefgehenden Unterschied im menschlich-philosophischen Habitus folgt erst der Gegensatz in den theologischen Konklusionen. Hier erreicht die Teilung allerdings ihren schärfsten und historisch augenfälligsten Ausdruck; sie ist unter dem Namen Thomismus-Molinismus bekannt genug.

Die Dominikanerschule besaß eine mehr als zweihundartjährige Erfahrung, als die Renaissance den Menschen sich selbst fühlen ließ und die Reformation das neuzeitliche Geschehen ins Rollen brachte. Die Festigkeit der Dominikanertradition ist nicht zu verstehen als Produkt einer leitenden Organisation. Sie ist noch weniger die Wirkung eines ständigen Sichsperrens vor neuen Methoden und Erkenntnissen der Wissenschaft; von der bloßen Verneinung kann keine Schule leben. Sondern diese Festigkeit –oder «Starrheit», wenn man ein kräftigeres Analogon aus der Körperwelt vorzieht– ist nichts anderes als die spezifisch intellektuelle Autorität der Doctrina S. Thomae. Das Beiwort «intellektuell» bezeichnet das Eigentümliche dieser Autorität insofern, als die Lehre des hl. Thomas im Unterschied von den übrigen Schullehren den Lernenden prinzipiell dazu bestimmt, alle Affekte und Handlungen dem Akte der reinen Theoria des intelligiblen Seins unterzuordnen. Das Intelligible im strengen Sinne ist nun seinem Wesen nach unveränderlich –«starr»; aber dem Menschen ist es nur durch sein [263] individuell begrenztes Erkennen in der zeit-räumlichen Konkretheit des Materiellen bzw. Sinnlichen zugänglich. Wo also eine Schule dadurch ausgezeichnet ist, dass sie gegenüber den praktischen oder voluntaristischen Neigungen aller anderen Schulrichtungen ständig daran festgehalten hat, den vollkommensten Akt in der reinen Schau des intelligiblen Seins zu sehen,– in einer solchen Schule ist geradezu der vor jeder Willkür geschützte Freiplatz gegeben für echt denkerische Individualität und für zeitgerechtes Erkenntnisstreben. Soweit uns die kurze, aber glanzvolle Blütezeit, die der italienische Thomismus gegen Ende des fünfzehnten und am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts zumal an den Bildungszentren des Renaissancehumanismus in Bologna und Padua erlebt hat, bisher bekannt ist, treten dem Historiker eine Menge von sehr ausgeprägten Denkerindividuen entgegen. Die Soncinas († 1494), Flandria (Dominicus von Flandern † ca. 1500), Sylvester von Prierio († 1524), Fr. Sylvester von Ferrara (Ferrariensis † 1528), Cajetan († 1534), Javelli († 1538) sind Philosophen-Theologen des Dominikanerordens, deren aristotelischer Thomismus bei jedem in manchen Thesen das Einmalige ihrer Zeit und Umgebung verrät. Zuweilen grenzt ihre individuelle Unabhängigkeit, d. i. Zeitgebundenheit, an die verwegene Kühnheit humanistischer Geniemänner. Doch die intellektuelle Macht ihres englischen Lehrers hat in ihnen so gewirkt, dass ihr individuelles Antworten auf die Fragen ihrer Zeit keinerlei Neigung gezeigt hat, sich zu einer Quasitotalität aufzutreiben und sich vor dem ewigen Wesen der reinen Erkenntnis zu verschließen. So hat Cajetan, der größte in der Reihe der italienischen Renaissancethomisten, auch in theologischen Dingen wahrhaftig kühn genug dem entsprochen, was Zeitgeist genannt wird; und dennoch ist gerade er einer der mächtigsten Zeugen für jene Festigkeit der thomistischen Tradition geworden.

Aus dieser Verfassung der Dominikanerkirche versteht man erst die historische Tatsache, dass gerade sie die Männer gestellt hat, die das in der spanischen Spätscholastik aufbrechende Neue heraufgeführt haben. Es handelt sich hauptsächlich um zwei Dinge: Zunächst um die Reformation des theologischen Schulbetriebs durch die Hervorhebung des positiv dogmatischen Gesichtspunktes; die loci theologici des Melchior Cano († 1560) sind dafür von entscheidender Bedeutung geworden. Dann aber ist die spanische Dominikanerschule durch die Kolonialpolitik unter Karl V. und Philipp II. vor die große Aufgabe gestellt worden, für die intellektuelle Macht der Doctrina S. Thomae dadurch zu zeugen, dass aus seiner Theologie von der essentiellen Übernatürlichkeit des christlichen Heiles die natürlichen Menschenrechte der Indianer gegen die christlich auftretende Konquistadoren-Politik verteidigt wurden. Bartholomaeus von Las Casas ist der führende praktische Theologe und Franz von Vitoria [264] der unsterbliche Begründer der Theorie des Völkerrechtes geworden{24}.

Die Schullehre der Gesellschaft Jesu musste mitten in dem Aufruhr des sechzehnten Jahrhunderts anfangen; irgendein Anschluss war notwendig. Der hl. Ignatius verpflichtete seine Jünger konstitutionell, in der Theologie «die scholastische Lehre des Divus Thomas zu lesen «. Sie gingen zu einem wichtigen Teile nach Salamanca in die Schule Franz von Vitorias. Dieser hatte nach dem Vorgang seiner Ordensbrüder in Pavia und Paris die Summa theologica an Stelle (bzw. zunächst neben) der Sentenzensumme des Lombarden zum Text der Vorlesungen gemacht. Dieser Neuerung schlossen sich die Theologen der Gesellschaft Jesu an und verhalfen ihr zum Siege. Das einzigartige Ansehen, das dem Engel der Schule durch die innere Gewalt wie durch die autoritative Anerkennung seiner Lehre zukam, galt zunächst auf dem Gebiete der Theologie. In der Philosophie traf die neue Stiftung auf die Vorherrschaft des Aristoteles, die durch den Peripatetismus und Averroismus der Renaissance noch eine besondere Betonung erhalten hatte. Hier hatte Thomas keine gesonderte und schulmäßige Zusammenfassung hinterlassen; er war dem äußeren literarischen Anschein nach eben einer in der langen Reihe der älteren Aristoteleskommentatoren. Zudem galt auf diesem Gebiete ja sein Axiom: In scientiis auctoritas minime valet: für ein echt philosophisches Urteil ist nicht die Autorität, sondern die objektive Evidenz entscheidend, was natürlich nur soweit gilt, als die objektive Evidenz der subjektiven Einsicht des forschenden Individuums zugänglich ist. Demnach hatten die Schulbildner der Gesellschaft bei aller Verpflichtung und Neigung, «die scholastische Lehre des Divus Thomas zu lesen «, doch Spielraum genug, einen schulmäßigen Denkhabitus zu formieren, der der providentiellen Berufung des neuen Ordens für die praktischen Bedürfnisse der neuen Zeit angepasst war. Die konstitutionelle Verpflichtung auf die Theologie des hl. Thomas hatte übrigens sofort eine auf die Zeitgemäßheit abzielende [265] Ergänzung bzw. Einschränkung erhalten{25}. Unter dem beispiellos fruchtbaren Geistesklima des damaligen Spaniens hat es kaum fünfzig Jahre gedauert, bis die Bildung der neuen Schullehre in der Hauptsache vollendet war. Um ihre Eigenart gegenüber den anderen Schullehren zu sehen, genügt es nicht, bei der Aufzählung der einzelnen Thesen bzw. Antithesen stehen zu bleiben. Das Spezifische einer Schuldoktrin enthüllt sich darin, wie sie das Wesen der Erkenntnis selber auffasst. Das Neue in dem philosophisch-theologischen Erkenntnisbegriff der Jesuitenschule erscheint zunächst bloß als ein Konglomerat aus skotistischem Voluntarismus, nominalistischem Praktizismus und thomistischem Intellektualismus; und es ist dennoch, historisch betrachtet, ein durchaus eigenartiges, in sich geschlossenes Ganzes, dem eine ungemein starke Wirkung entströmt ist. Am besten wird es als «praktischer Intellektualismus» bezeichnet, wenn der abschätzige Sinn, der den Ausdrücken: Intellektualismus und intellektualistisch in der modernen Literatensprache anhaftet, ausgeschaltet wird. Es wird weiter unten (in §11) die Gelegenheit sein, den Sinn dieser Bezeichnung zu verdeutlichen.

Hier gilt es zunächst, die Verbreitung der spanischen Spätscholastik in dem nördlichen Europa festzustellen. Seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts waren Lyon der Hauptstapelplatz, Antwerpen und Köln-Mainz die wichtigsten Außenfilialen, von denen aus die Bücher der spanischen Denker durch Europa hin verbreitet worden sind. Die vom Protestantismus besetzten Gebiete waren offenes Einfuhrgebiet. Weder die Reformierten noch die Lutheraner konnten damals nach der Maxime leben: Catholica non leguntur. Die Elementarbücher Melanchthons waren doch zu dürftig, als dass sie den mit philosophischer Energie geladenen Folianten der Spanier den Weg versperren konnten. Es ist nun sehr lehrreich, zunächst die in der Literatur verstreuten Andeutungen zu [266] sammeln, aus denen sich das Eindringen der spanischen Spätscholastik in die protestantischen Universitäten verfolgen lässt.

§ 6. Jac. Freudenthal gebührt das Verdienst, durch seine Studie «Spinoza und die Scholastik»{26} die Philosophiehistoriker wieder auf den Zusammenhang des neuzeitlichen Denkens mit der Scholastik aufmerksam gemacht zu haben. Zum ersten Male ist hier eindrucksvoll gezeigt worden, dass die Philosophie Descartes' und Spinozas nicht als pure Loslösung von der Scholastik verstanden werden kann. Holland ist bekanntlich die «Wiege des Cartesianismus» gewesen. Die Erforschung des philosophischen Lehrbetriebs auf den niederländischen Universitäten zur Zeit der Spinoza, Descartes und Geulinx war deshalb eine günstige Gelegenheit, um auf die Rolle der Scholastik in der damaligen Philosophie Licht zu werfen. Diese Arbeit Freudenthals ist von Jos. Bohatec{27} beträchtlich erweitert worden. Nun liegt ziemlich klar zutage, dass die umstürzend neuen Systeme in einer Welt entstanden sind, die in überraschend großem Maße scholastisch bestimmt war. Die Erörterung der geläufigen Vorstellungen von dem Verhältnis Leibnizens zur Scholastik legt es nahe, auf die Frage zu achten, welche Scholastik es war, die damals auf den niederländischen Hochschulen geherrscht hat; denn es hat sich gezeigt, dass die verschwommene Vorstellung von einem «die» Scholastik genannten Allgemeinwesen zu historischen Feldurteilen führen muss.

Freudenthal führt an einer anderen Stelle{28} das Wort eines Franco Burgersdijk an, der 1620-1635 in Leiden doziert hat: «in den Händen der Jugend befinden sich hauptsächlich die Scholastiker Toletus, Benediktus Pereira, Franz Suarez und die Lehrer von Coimbra. Aus ihren Schriften schöpft man die Elemente der Philosophie.» Burgersdijk war der Lehrer des Leidener Philosophen Andreas Heereboord († 1659), von dem Freudenthal unter anderen für die Geschichte der Spätscholastik belangreichen Auslassungen auch die Stelle zitiert: Suarez sei omnium metaphysicorum papa et princeps. Das Wort ist in den Überweg-Heinze übergegangen und dadurch wohl allgemeiner bekannt geworden{29}. Es wird sich noch zeigen, dass der Doctor eximius nicht allein in Holland [267] der Ehre eines papa metaphysicorum gewürdigt worden ist. Diese Andeutungen Freudenthals lassen vermuten, dass es vor allem die junge Scholastik der Jesuitenschule war, die auf den holländischen Hochschulen Einfluss gewonnen hatte. Das wird bestätigt und sozusagen behördlich testiert durch die Erlasse, worin die verschiedenen Universitätskuratorien zu der heftigen Diskussion um die cartesische Philosophie Stellung genommen haben. So hatten, um dem Streit zwischen Voetius und Regius-Descartes ein Ende zu machen, der Senat der Stadt Utrecht und das Kuratorium der Universität kurz vor 1650 verfügt, dass die aristotelisch-scholastische Philosophie beizubehalten sei. Freudenthal, dem diese Nachricht entnommen ist, hat schon selber angemerkt, dass es sich hier nicht darum gehandelt habe, die philosophische Entwicklung auf die Scholastik des Mittelalters zurückzudrängen, sondern nur darum, den Besitzstand der «jüngeren Scholastik» zu wahren. Was Freudenthal darunter gemeint hat, ist durch den Zusatz ausgedrückt, es habe sich um die scholastische Philosophie gehandelt, «die in den Jesuitenschulen ihre feinste Ausbildung erlangt und mit der auch der Protestantismus immer mehr sich befreundet hatte.»{30} Wenn das Kuratorium von Leiden, der bedeutendsten Universität des Landes, i. J. 1617 bestimmte, die Professoren der Theologie und der Philosophie sollten sich nicht mehr um Cartesius streiten, sie sollten sich vielmehr «in den Grenzen der rezipierten (!) aristotelischen Philosophie» halten, so ergibt sich aus den Umständen zweifelsfrei, dass der «rezipierte» Aristotelismus in Leiden ebenso wie in Utrecht nichts anderes bedeutet als die philosophischen Lehrbücher aus der Jesuitenschule{31}. In einem Votum, das die Universität Groningen 1651 jussu Rectoris magnifici zu den cartesianischen Streitigkeiten abgegeben hat, steht zu lesen: Es gebe in Leiden und Utrecht, wo der Streit ausgebrochen, öffentliche Professoren, die um der Freiheit willen für die Meinungen des Cartesius einträten. Die Lage an diesen Hochschulen sei so, «ut publica auctoritate hactenus magis quam Conimbricensia vel Suareziana nec recepta nec prohibita fuerint. Hoc nostrum quod spectat Athenaeum, ex illius primaeva institutione et legibus ad Aristotelis philosophiam retinendam Professores Philosophi tenentur: quod tamen cum eo moderamine sumitur, ut in solius Die verba juremus nec, si quid novae lucis affulserit Aristoteli el veteribus invisum ad naturae phaenomena certius percipienda et commodius explicanda, solo novitatis titulo esse rejiciendum arbitremur. Amici nobis sunt Socrates, Plato, Aristoteles, Conimbricenses, Suarezius, Ramus, Cartesius, sed magis amica veritas»{32}. [268]

So ist die Tatsache festzustellen, dass die offizielle Philosophie auf den vornehmsten Hochschulen Hollands in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts die von Fonseca begonnene und von Suarez ausgebildete Schullehre des Jesuitenordens gewesen ist. Im Unterschied vom Luthertum legte die reformierte und namentlich die arminianische Theologie besonderen Wert auf den Gebrauch des naturale rationis lumen. Dies hat sicher dazu beigetragen, dass die spanische Spätscholastik in ihrem vorhin «praktischer Intellektualismus» genannten Zweig so weit und so tief in dem holländischen Boden Wurzel fassen konnte. Es ist zu erwarten, dass die protestantischen Universitäten Deutschlands ein anderes Bild zeigen werden. War es doch ein hervorstechendes Merkmal der lutherischen Reformation, gegen den Heiden Aristoteles und gegen die scholastische Vernunftspekulation zu protestieren{33}. Durch welche Türe sollte da die Subtilität der spanischen Spätscholastiker Einlass finden können? Der Eklektizismus Melanchthons schien das äußerste zu sein, was eine lutherische Theologie an Philosophie ertragen konnte. Und dennoch haben die Conimbricenses und Suarez gleich beim Beginn des siebzehnten Jahrhunderts auch in diese Universitäten Einzug gehalten. Die gewöhnlich «scholastische Orthodoxie» genannte Periode der lutherischen Theologie ist ihrem philosophischen und spekulativen Gehalt nach überwiegend von der Lehre der Jesuitenschule bestimmt worden. Das ist gewiss erstaunlich; dass es Tatsache ist, sei vorläufig mit den Zeugnissen der protestantischen Geschichtschreibung über diese «scholastische Orthodoxie» belegt. Später, in Abschnitt V, sollen darüber einige Stimmen aus der Zeit selbst angeführt werden.

§ 7. Der erste, der sich nach dem Absterben der orthodox-lutherischen Scholastik mit ihrer Geschichte befasst hat, scheint Joh. Herm. v. Elswich zu sein{34}. Er schildert in seinem Schediasma, wie der Ramismus beim Ausgang des Reformationsjahrhunderts den Einfluss des Schulmeisters Melanchthon zurückgedrängt habe, wie sich aber dann Aristoteles in neuer Form auf den lutherischen Universitäten durchgesetzt habe. Um das Aufkommen dieses neuen Aristotelismus um die Wende des sechzehnten zum siebzehnten Jahrhundert zu erklären, zitiert v. Elswich beifällig die Theologen Georg Horn († 1670) und Johann Gerhardt († 1637), [269] denen zufolge die Protestanten jetzt die aristotelische Philosophie pflegten: quod absque ea non posse cum Jesuitis recto disputari videant. v. Elswich fügt hinzu, dass nach der ramistischen Periode vor allem wieder die Metaphysik in Kurs gekommen sei: «quod Lojolitis, quos non immerito Neo-Scholasticos appellaveris, usitatum erat, omnia metaphysicis ut nominant involvere terminis. Quam meam conjecturam (!) inde confirmo, quod imprimis studium Metaphysices ab eo inter Nostrates tempore florere coeperit, quo colloquium illud Ratisbonense cum Gretsero, Tannero, Hagero habitum est. Prudentia suadebat illam sibi notam perspectamque facere, in qua Lojolitae tantum habebant collocutum praesidii etc.»{35}. Das erwähnte Religionsgespräch von Regensburg fand i. J. 1601 statt; es wird noch darauf zurückzukommen sein.

Aus diesem Zeugnis geht hervor, dass dem Zeugen, der 1721 in einem Alter von 37 Jahren als Professor von Wittenberg gestorben ist, die spanische Spätscholastik nur in der Form der Jesuitenschule bekannt gewesen ist; der Name Neoscholastici gebührt nach ihm schlechthin den «Lojoliten». v. Elswichs Conjectura, die Rezeption der suarezischen Metaphysik auf den lutherischen Universitäten sei aus kluger Rücksicht auf die Auseinandersetzung mit den Gegenreformatoren geschehen, kann natürlich nicht als ausreichende Erklärung dieses merkwürdigen historischen Vorgangs angenommen werden. Denn die Bedürfnisse der theologiae polemica mögen wohl eine der wichtigsten äußeren Bedingungen gewesen sein, die den Triumph der suarezischen Metaphysik gefördert haben; aber sie konnte nicht praktisch klug angewandt werden, ehe sie zum geistigen Eigentum geworden war. Wie es aber möglich war, dass lutherische Theologen in der Metaphysik Suarezianer wurden, darin liegt die historische Frage, der die oberflächliche Tatsachen-Konjektur v. Elswichs nicht gerecht wird. Immerhin ist sie in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts für eine befriedigende Historie gehalten worden{36}. Noch Wilh. Gaß referiert im wesentlichen die Vermutung v. Elswichs, wenn er in seiner Geschichte der protestantischen Dogmatik schreibt: «Im Jahre 1605 (tatsächlich ist die erste Ausgabe in Mainz [270] schon 1600 erschienen) erschien die Metaphysik des spanischen Jesuiten Suarez und wurde auffallend genug unter protestantischen Lehrern ein vielgebrauchtes und anerkanntes Lehrbuch. Wie aber konnte sie das werden? Die Protestanten besaßen am Anfange des Jahrhunderts noch kein größeres systematisches Werk; Melanchthon und Ramus hatten nur die Dialektik und Realphilosophie fragmentarisch und popular bearbeitet. Wollte der Protestantismus nicht zurückstehen, sondern in allen gelehrten Verhandlungen und Disputationen mit den Gegnern gleichen Schritt hatten: so durfte das metaphysische Feld nicht unangebaut bleiben. Die innere Verwandtschaft der durch die Zeitrichtung (!) in allen Konfessionen gebotenen Streitmittel und Denkregeln, der gleiche Zuschnitt der Universitätsfächer duldete diese Zurückziehung nicht»{37}.

Der erste, der gegen die Oberflächlichkeit der Conjectura v. Elswichs protestiert hat, ist, wenn man von einer entgegengesetzten Conjectura Tholucks absieht, Ernst Tröltsch gewesen. In einer bedeutenden «Untersuchung zur Geschichte der altprotestantischen Theologie» hat er gegenüber diesem «leichtfertigen Einfall» darauf hingewiesen, dass schon vor dem Regensburger Religionsgespräch Ansätze zur Pflege einer aristotelischen Metaphysik auf den protestantischen Universitäten festzustellen sind{38}. [271]

Diese vorbereitenden Ansätze hat Emil Weber weiterverfolgt und ausführlich dargestellt; darin liegt das Hauptverdienst seiner Arbeiten zur Geschichte der lutherischen Scholastik{39}. Die Darstellung, die er von der Blütezeit der protestantischen Schulphilosophie nach 1690 gibt, leidet jedoch unter zwei Unzulänglichkeiten. Zunächst ist für Weber, wie für den common sense überhaupt, Scholastik ein Name, der ein ununterschiedenes Einerlei bezeichnet; selbst der Unterschied zwischen Hochscholastik und spanischer Spätscholastik kommt in seinem historischen Urteil nicht zur Geltung, von der Verschiedenheit zwischen thomistischer und suarezischer Prinzipienlehre innerhalb der letzteren ganz abgesehen. Webers Arbeiten zeigen sehr klar, wie dringlich eine Geschichte der Spätscholastik ist. Der Riesenzettelkasten, den Karl Werner in seinen bekannten Werken ausgebreitet hat, genügt offenbar nicht; so verdienstlich er ist und so vielfach er auch einen geduldigen und für intelligible Dinge empfänglichen Leser unterrichten kann. Dann aber verbaut sich Weber nicht selten eine sachliche Einsicht durch seine Tendenz, das Aufblühen der philosophischen Scholastik auf den protestantischen Hochschulen als ein von der Schullehre des Jesuitenordens relativ Unabhängiges und Eigentümliches nachzuweisen. Diese Tendenz ist an und für sich ein gutes heuristisches Prinzip; aber Weber übertreibt es. Seine Darstellung macht den Eindruck, als versuche er, Tröltschs Ablehnung der Conjectura v. Elswichs missverstehend, unter allen Umständen die schon von Gaß als «auffallend genug» empfundene Tatsache abzuschwächen, dass die Metaphysik des Suarez ein «unter protestantischen Lehren vielgebrauchtes und anerkanntes Lehrbuch» gewesen ist.

§ 8. Emil Weber hat aufgedeckt, wie mannigfaltig und verschiedenartig sich schon am Ende des sechzehnten Jahrhunderts ein scholastischer Aristotelismus auf den protestantischen Universitäten vorbereitet hat und in welchem Umfange der Peripatetismus der italienischen [272] Renaissance, namentlich Jac. Zabarella und Caesar Scaliger, daran beteiligt war. Aber Weber kann vor dem Jahre 1600 keinen vollständigen Kommentar der aristotelischen Metaphysik in der protestantischen Literatur nachweisen: und es bleibt die Tatsache bestehen, dass vor dem Bekanntwerden der Disputationes metaphysicae in Deutschland (erste Mainzer Ausgabe 1600, und nicht, wie Weber notiert, 1605) kein systematisch geordnetes Schulbuch der Metaphysik geschaffen worden ist. Mit dieser Sachlage findet sich Weber so ab: «Was den Inhalt angeht, so scheinen die Kosten der neuen Metaphysik doch wesentlich von der alten Scholastik bestritten werden zu müssen»; und weiter heißt es von den drei Faktoren: Scholastik, Renaissance, Reformation, auf die Weber die Entstehung des lutherischen Aristotelismus zurückführt: «Ganz naturgemäß hatte einer der Faktoren das entscheidende Übergewicht, so dass die anderen mehr oder minder in nur gelegentlichem Einschlag sich zeigen. Zumeist ist das natürlich die alte Scholastik; nur bei einer kleineren Richtung, der Altdorfer Schule, ... ist ebenso ausschließlich oder noch ausschließlicher der arabisch-italienische Einfluss wirksam»{40}. Der Ausdruck «alte Scholastik» ist in diesen Stellen, wie in der Regel bei Weber, synonym mit katholischer Scholastik überhaupt gemeint. Der historischen Sachlage ist erst entsprochen, wenn dafür, wie sich im weiteren Verlaufe der Untersuchung ergeben wird, die philosophische Schullehre des jesuitischen Zweiges der spanischen Spätscholastik eingesetzt wird.

Um die Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit der orthodoxen Philosophen festzustellen, erhebt Weber eine Statistik der Autoren, die in den Metaphysiken zweier protestantischer Theologen angeführt werden. In dem Lehrbuch des Jac. Martini (bis 1649 Professor in Wittenberg) hat Weber außer anderen auch 67 Suarez- und 40 Fonseca-Erwähnungen neben 110 Anführungen des hl. Thomas zusammengezählt; in Joh. H. Alsteds (Professor in Herborn, † 1638) Metaphysik konstatiert er dagegen 74 Zitierungen Fonsecas, 27 aus Suarez, 18 aus Pererius (= Benedictus Pereira), [273] 12 aus den Conimbricenses neben nur 16 aus Thomas{41}. Aus solchen bloßen Namensstatistiken ist nicht viel zu erkennen, zumal wo es sich um scholastische Literatur handelt; und es wäre durchaus verfehlt, aus den angeführten Ziffern etwa schließen zu wollen, Jac. Martini habe den hl. Thomas am fleißigsten studiert, weil er ihn am häufigsten unter allen Autoren zitiert, Altsted aber habe sich mehr an Fonseca gehalten und Thomas vernachlässigt. Weber zieht selbst die Möglichkeit in Erwägung, «die vielen Zitate aus Benutzung katholischer Sammelwerke (welcher?) zu erklären»; doch er will das nur «hier und da» gelten lassen und versucht «die Tatsache eines selbständigen eifrigen Studiums der Scholastiker» (hier sind wohl die wirklich «alten» gemeint) durch einzelne Aussagen festzustellen. Die angeführten Zeugnisse besagen aber nur, dass die Tatsache eines selbständigen eifrigen Studiums der Hochscholastiker eine sehr beschränkte gewesen sein muss; denn die Toletus, Fonseca, Suarez, Vasquez usw. sind außerordentlich reich an alten Zitaten und können doch nicht als bloße «Sammelwerke», die in der Historie eher möglich sind als in der Metaphysik, angesehen werden{42}. Alle Jesuitenscheu hilft nicht vor der historisch sehr auffälligen Tatsache, [274] dass auch die Schulphilosophie der lutherischen Orthodoxie der Form wie dem Inhalt nach weitaus am stärksten durch die bei Suarez ausgebildete Doktrin der Jesuitenschule bestimmt worden ist.

Suarez, diese anchora Papistarum,{43} ist die gewichtigste, aber gewiss nicht die einzige Quelle, aus denen die protestantischen Philosophen und Theologen geschöpft haben. Seine Disputationes metaphysicae kamen als erste umfassende Synthese, in welcher die namentlich aus Zabarella genährten, metaphysischen Tendenzen der melanchthonischen Dialektiker ihre großartige Erfüllung fanden; sie kamen zudem als erlesenes Glied einer ganzen Reihe von vorbereitenden und fortführenden Schularbeiten nach Deutschland. Weber zählt die Reihenfolge, in denen die spanischen Denker vom Protestantismus des siebzehnten Jahrhunderts aufgenommen worden sind, so auf: «Anfangs steht ein Fonseca unter den Genossen neben ihm (= Suarez) –auch bei Scheibler–, später treten besonders Fr. Tolet und Petr. Hurtado de Mendoza, auch Gabriel Vasquez hinzu.» Da sind mit Fonseca nur die Conimbricenses zu verbinden, und Ben. Pereira und Rubio hinzuzufügen, um die erste Klasse der Philosophenschule der Gesellschaft Jesu bis zum Jahre 1630 vollständig zu versammeln{44}.

Ernst Tröltsch fasst sein Urteil über das Aufkommen der scholastischen Philosophie in der lutherischen Orthodoxie so zusammen: «Wie diese Metaphysik im einzelnen sich verbreitet und festgesetzt hat, ist schwer zu sagen. Nach den Andeutungen des Taurellus und anderer ist die Bewegung eingeleitet worden durch die Interpretation des Aristoteles nach dem Muster der averroistischen italienischen Peripatetiker und der alten Scholastiker, wie sie zuerst in Altdorf aufgekommen zu sein scheint. Dazu kam dann die mächtige Einwirkung der neuen jesuitischen Philosophie, welche den alten Thomismus elegant modernisiert [275] und zu einem leicht fasslichen Grundbestandteil ihres philosophischen Unterrichtskursus umgearbeitet hatte. Ihr Hauptwerk waren die Metaphysicae disputationes des Suarez von 1597, ein Werk, das sehr rasch zum Muster und zur Quelle einer massenhaften deutschen Literatur wurde»{45}. Überhaupt zeigt Tröltschs Untersuchung ein erstaunlich sicheres Gefühl für die historische Besonderheit der spanischen Spätscholastik. Mag er davon auch nur den Zweig, den die Ordenslehre der Gesellschaft Jesu darstellt, näher gekannt haben, so hält sein historisches Urteil doch wenigstens diese und die alte Scholastik deutlich auseinander. Gegenüber den promiscue von «katholischer Scholastik» redenden Alb. Ritschl und Aug. Dorner bemerkt er mit Bezug auf die spekulativen Elemente, die auf einmal in den Dogmatiken der orthodoxen Lutheraner auftreten, dass «diese Sätze nicht aus einem direkten Anschluss an die alte Scholastik stammen, sondern aus der jesuitischen ´Neoscholastik´ abzuleiten sind, welche eine philosophische und keine theologische Disziplin war und als solche an den protestantischen Artisten-Fakultäten seit der Wende des Jahrhunderts aufgenommen worden war»{46}.

An diesem Urteil Tröltschs haben die Forschungen Webers nichts geändert. Dadurch, dass sie die Anläufe zu einem scholastischen Aristotelismus beim Ausgang des Reformationsjahrhunderts vollständiger und deutlicher sehen lassen, wird das historische Problem, wie die von Fonseca und Suarez repräsentierte spanische Schulphilosophie mit dem beginnenden siebzehnten Jahrhundert die Hochschulen des deutschen Protestantismus erobern konnte, nur noch schärfer betont.

——

{24} Eine einigermaßen zulängliche Gesamtdarstellung des zwiefältigen Aufblühens der spanischen Spätscholastik in der Zeit Karls V. und Philipps II. existiert noch nicht. Sie kann nur in Spanien und wohl auch nur von Spaniern geschrieben werden. Das handschriftliche Material, das in den Archiven der Nationalbibliothek und der Real Academia de la Historia zu Madrid und in den Bibliotheken vom Escorial und von Salamanca aufbewahrt wird, ist schon so umfangreich, dass es kaum von einem Einzelnen ausgeschöpft werden kann; und allem Anschein nach bergen auch die übrigen Bibliotheken und Archive Spaniens noch manches, was zu einer gründlichen Darstellung dieses für die Geschichte des neuzeitlichen Katholizismus wichtigen Themas notwendig ist. Bis heute sind noch die Vorarbeiten unentbehrlich, die Marc. Menéndez y Pelayo dazu geleistet hat, besonders in: La ciencia Española, 3 tomos, 4. ed. Madrid 1915 und Ensayos de crítica filosófica, ed. por Ad. Bonilla y San Martín, Madrid 1918.

{25} Die Erklärung lautet: «Praelegetur etiam Magister Sententiarum. Sed si videretur temporis occursu alius auctor studentibus utilior futurus, ut si aliqua Summa vel liber Theologiae Scholasticae conficeretur, qui his Nostris temporibus accommodatior videretur, gravi cum consilio el rebus diligenter expensis per viros, qui in universa Societate aptissimi existimentur, cumque Praepositi Generalis approbatione praelegi poterit» (S. M. Pachtler, Ratio studiorum et institutiones scholasticae S. J., tom. I, Berlin 1887, p. 59). Diese Erläuterung besagt zunächst nur, dass die Summa des hl. Thomas und die Sentenzenbücher als Vorlesungstexte von neuen Schulbüchern ersetzt werden können, wenn eine zeitgemäße Schulpraxis es ratsam erscheinen ließe. Bedenkt man aber die Bedeutung, die dem Vorlesungstext damals zukam, so ist mit diesem Zusatz doch mehr als eine bloße Entbindung von der Stoffanordnung und der Darstellung der S. theol. ausgedrückt. Die Freiheit der Ordenslehrer gegenüber der thomistischen Lehre ist später (i. J. 1586) wenigstens für bestimmte Thesen von Aquaviva offiziell festgestellt worden. – Übrigens ist die Vorliebe der Jesuiten, ihre Doktrin «Thomismus» bzw. «thomistisch» zu nennen, jüngeren Datums; sie tritt –soweit ich sehe– erst im 19. Jahrhundert auf.

{26} In: Philosophische Aufsätze Eduard Zeller gewidmet, Leipzig 1887, S. 83 bis 138.

{27} Die cartesianische Scholastik in der Philosophie und reformierten Dogmatik des 17. Jahrhunderts, 1. Teil, Leipzig 1912.

{28} Jac. Freudenthal, Spinoza – Sein Leben und seine Lehre, Stuttgart 1904, S. 44, vgl. Spinoza und die Scholastik a. a. O. S. 92.

{29} Freudenthal, Spinoza und die Scholastik a. a. O. S. 105. In Fr. Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie (3. Teil, Berlin 1924, S. 214 f.) wird dieses Zitat ebenso wie das unmittelbar darauf folgende Zitat aus G. G. Guhraner, Joachim Jungius und sein Zeitalter, ohne Angaben der Quellen abgedruckt.

{30} Freudenthal, Spinoza und die Scholastik S. 91 f.

{31} Bohatec, Die cartesianische Scholastik usw. S. 34; vgl. ebenda S. 155 das Gutachten, worin der Universitätssenat von Leiden selbst am 12. X. 1651 zu dem «rezipierten» Aristotelismus Stellung nimmt.

{32} Aus den Akten abgedruckt bei Bohatec a. a. O. S. 151 ff.

{33} Die Darstellung der lutherischen Theologie in Reinh. Seebergs Lehrbuch der Dogmengeschichte 4. Bd. 1. Hälfte, Leipzig 1917, S. 176 ff. lässt jedoch hervortreten, dass es nicht angängig ist, die bekannten, wie mit einem wahren Vernunfthass geladenen Racheausdrücke des Reformators prinzipiell zu verstehen und zu verallgemeinern.

{34} Joannis Launoii Theologi Parisiensis de varia Aristotelis in Acadamia Parisiensi fortuna – et Joannis Jonsii Holsati de historia Peripatetica dissertatio – Jo. Hermannus ab Elswich edidit et de varia Aristotelis in scholis Protestantium fortuna Schediasma praemisit, Vitembergae apud Saxones 1720.

{35} L. c. p. 74 f.

{36} Jo. Franc. Buddeus, Isagoge historico-theologica ad Theologiam universam etc., Leipzig 1730 (2. Auflage; die erste 1727), p. 230: «In nostra ecclesia initio non adeo magnum metaphysicae statuebatur pretium; siquidem, qui in doctrina caelesti ab erroribus romanensium repurganda restituendaque laborabant, horumque successores, in tradenda theologia escripturae sacrae potius quam philosophicarum subtilitatum habebant rationem. Cum vero Jesuitae, ceu neo-Scholastici, in controversiis theologicis omnia terminis metaphysicis involverent, ut imperitioribus caliginem obfunderent, nostrates velut necessitatem quandam sibi impositam putarunt metaphysicam in subsidium vocandi, ut iisdem cum adversariis pugnarent armis.» Dann beruft sich Buddeus auf die zitierte conjectura von Elswichs. – Ebenso Jac. Brucker, Historia critica philosophica, tom. IV, pars 1 (Leipzig 1743), p. 250.

{37} Geschichte der protestantischen Dogmatik, 1. Bd. Berlin 1854, S. 185. Gaß fügt jedoch bei, es dürfe dabei mit Recht behauptet werden, dass die Protestanten auch «aus eigenem Berufe» zu einer aristotelischen Metaphysik hingedrängt worden seien. «Der Zeit nach aber muss der von dem Katholizismus gegebene Anstoß vorzüglich in Anschlag kommen. Das genannte Werk des Suarez, das bedeutendste dieser Gattung, neben welchem aber auch die Schriften des Zabarella und Fonseca vielfach zitiert werden, ist im ganzen ein eklektischer überwiegend an thomistische Prinzipien angelehnter, übrigens für den damaligen theologischen und dialektischen Gebrauch eingerichteter Aristotelismus, und man kann demselben einen hohen Grad von Fasslichkeit und Scharfsinn nicht absprechen», a. a. O. S. 186.

{38} Ernst Tröltsch, Vernunft und Offenbarung bei Joh. Gerhard und Melanchthon, Untersuchung zur Geschichte der altprotestantischen Theologie, Göttingen 1891, S. 105 f. Unter diesen auf das Ende des 16. Jahrhunderts zurückweisenden Ansätzen hebt Tröltsch besonders die Tatsache hervor, dass i. J. 1596 zu Wittenberg eine Neuausgabe der Metaphysikkommentare des Cölners Joh. Versor (nach Hurter, Nomenclator II2 990, † ca. 1485) erschienen ist. Aus der Vorrede, die der protestantische Theologe Sal. Geßner dieser Ausgabe beigegeben, referiert Tröltsch u. a.: «Thomas, Albert, Aegidius Romanus, Averrhoes und die Neueren Franciscus (wohl de Victoria) und Javellus seien zwar schlechte Stilisten; aber die unschöne Form dürfe von der höchst brauchbaren Sache nicht abschrecken.» Die Ergänzung, die Tröltsch hier dem Namen Franciscus beifügt, ist sicher falsch; denn von Fr. v. Vitoria konnten keine philosophischen Schriften bekannt gewesen sein. Wahrscheinlich ist mit dem Franciscus Toledo gemeint, dessen Aristoteles-Kommentare sämtlich in Köln gedruckt worden sind, zum ersten Male 1574, 1575, 1576 (nach de Backer-Sommervogel, Bibliothèque de la Compagnie de Jésus, tom. VIII, Brüssel 1898, p. 64 ff.).

{39} Die philosophische Scholastik des deutschen Protestantismus im Zeitalter der Orthodoxie, Leipzig 1907. – Der Einfluss der protestantischen Schulphilosophie auf die lutherische Dogmatik, Leipzig 1908. Die Monographie P. Althaus, Die Prinzipien der reformierten Dogmatik im Zeitalter der Orthodoxie, Leipzig 1914, und das große Werk Otto Ritschl, Die Geschichte der dogmatischen Theologie in den protestantischen Kirchen, 4 Bände, Leipzig 1909 ff., halten sich auf dem rein theologischen Gebiete und bringen darum zu dem in Frage stehenden Thema nichts Neues. Dagegen ist Peter Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland, Leipzig 1921, von besonderer Bedeutung; es wird noch reichlich zu Rate gezogen werden.

{40} Die philosophische Scholastik usw., S. 56 und 63. Weber datiert die erste deutsche Ausgabe der Disputationes metaphysicae auf Mainz 1605, nach einem in der katholischen wie in der protestantischen Literatur vorherrschenden Gebrauch. Karl Werner, Franz Suarez und die Scholastik der letzten Jahrhunderte, 1. Bd. Regensburg o. J. S. 93, macht eine Ausnahme und zählt unter den sechs Auflagen, die bis 1620 in Mainz und Köln erschienen sind, als erste die Mainzer von 1600. Die Annahme, die erste deutsche Auflage sei erst 1605 oder 1606 erschienen, geht anscheinend auf einen alten, bis in de Backer-Sommelvogel (Bibilothèque de la Cgie de Jésus, tom. VII, Brüssel 1896, col. 1665) verschleppten Irrtum zurück. Dass aber die Angabe Werners richtig ist, beweist die vorliegende Ausgabe; sie ist Moguntie, excudebat Balthasarus Lippius, Sumpt. Arnoldi Mylii, A. D. ‹I›. I›‹ gezeichnet. Die epistola dedicatoria des Arn. Mylius, civis et bibliopola Coloniensis ist datiert: Moguntiae, pridie Kalend. Aprilis. Anno a partu Deiparae ‹I›;. I›. i› (= 1599).

{41} Die philos. Scholastik usw. S. 39; vgl. S. 17. – Weber schreibt S. 41: «Eine Vergleichung von Belegstellen etwa bei Jakob Martini und Suarez bestätigt durchaus nicht die Abhängigkeit von seinem Partner oder gemeinsame Abhängigkeit von einem Dritten.» Eine solche Behauptung lässt sich mit der bloßen Zitatenstatistik nicht zweifelsfrei ausmachen; hierzu bedürfte es einer einsichtigen Vergleichung der beiderseitigen Thesen und Argumente, wofür sich bei Weber nicht einmal ein Ansatz findet. Käme es nur auf die Zahl der berücksichtigten –und nicht bloß zitierten– Autoren an, so reicht keiner der von Weber untersuchten Scholastiker auch nur im entfernten an die Belesenheit des Autors der Disputationes metaphysicae heran. Das gilt auch von der Kenntnis, die Suarez von der italienischen Renaissancephilosophie gehabt hat; vgl. den Auszug (!), den Martin Grabmann aus der Autorentabelle der Disputationes metaphysicae gemacht hat in: P. Franz Suarez S. J. Gedenkblätter zu seinem 300. Todestag, Innsbruck 1917, S. 39 ff.

{42} Die philos. Scholastik usw., S. 41 f. – Weber sucht nach einem Specificum, das die protestantische Schulphilosophie von dem Aristotelismus der «alten Scholastik» wie er sagt, abheben soll; für ihn ist es nämlich selbstverständlich, dass die Jesuitae seu neo-scholastici, wie es bei v. Elswich, Buddeus und Brucker heißt, nichts anderes geleistet haben als bloße «Sammelwerke» und «Epigonenarbeit». Weber findet zwei, das orthodoxe Schuldenken von dem katholischen Mittelalter abhebende Specifica: Erstens die Lehre Meisners von dem realen Sein der Relation, was aus dem geistig-persönlichen Charakter des religiösen Erlebens der Reformation zu erklären und als Gegensatz zu dem mittelalterlich-katholischen Substanzbegriff zu verstehen sei. Zweitens das Ringen um eine idealistische Lösung des Raumproblems. Fatalerweise enthält, was Weber hier (S. 57-62) an Texten vorbringt, ohne Ausnahme Fragestellungen und Lösungen, die auch in der Schule des Suarez zu Hause waren. – Begründeter scheint der zweite Versuch Webers zu sein, die Originalität der protestantischen Scholastik im siebzehnten Jahrhundert zu beweisen. Er macht nämlich a. a. O. S. 105-119 auf das Bestreben Georg Gutkes und Abraham Calovs aufmerksam, der Metaphysik eine Scientia de scientia, eine Art von «Grundwissenschaft» oder «Wissenschaftslehre» beizugesellen. Weber sieht darin «eine Weissagung auf die Geistesbewegung, die der "Philosoph des Protestantismus" (Kant) begründen wird» (a. a. O. S. 127). Er vergisst darauf hinzuweisen, dass die Arbeit Gutkes und Calovs ganz offensichtlich an die scholastische dissertatio de intellectu aus dem Traktat De anima anknüpft. Bei näherem Zusehen erweist sich auch dieser zweite Versuch als sehr fragwürdig; s. u. Anm. 87, S. 304 f.

{43} Gustav Frank, Geschichte der protestantischen Theologie, 1. Teil, Leipzig 1862, S. 419. Vgl. Daniel Georg Morhofius, Polyhistor literarius, philosophicus et practicus, tom. II ed. 3. Lübeck 1732, lib. 1, c. 14, § 43 (= p. 97): Franciscus Suarez, Magnus Doctor et Sacra anchora Pontificiorum.

{44} Die philos. Scholastik usw., S. 40; für die Lebensdaten und Werke der Häupter der Jesuitenschule sei auf die bekannten bibliographischen Werke (de Backer-Sommervogel und Hurter) verwiesen.

{45} Vernunft und Offenbarung usw., S. 108. Dieses Urteil fällt Tröltsch unmittelbar im Gefolge seiner Kritik der mehrfach erwähnten «Vermutung» von Elswichs.

{46} A. a. O. S. 102. Über die Ansätze zu metaphysischer Spekulation im Protestantismus, die dem Einfluss der suarezischen Metaphysik den Weg geebnet haben, s. Peter Petersen, Ges. der arist. Phil. im prot. Deutschland, S. 279-287 (vollständiger und geordneter als bei Emil Weber).

[In: Spanische Forschungen der Görres-Gesellschaft I, Aschendorff, Münster 1928, pp. 251-325.]